Wie Muslime zur christlichen Identität beitragen können

Buchautor Burkhard Hose fordert ein neues Wir-Gefühl in Deutschland / Drei Syrer zu Gast

Von Sebastian Müller

 

Nürnberg. Drei junge syrische Männer sind an diesem Abend in die Lesung des Buchautors und Würzburger Friedenspreisträgers Burkhard Hose eingebunden. Sie heißen Assef Mustafa, Obaida Allabidi und Nazir Miari. Bald werden sie ihr Studium der Sozialen Arbeit und der Informatik beginnen. 2015 flohen sie vor dem syrischen Bürgerkrieg und fanden in Würzburg eine neue Heimat. Dann beginnt sie, die Lesung, die ganz anders ist als Lesungen, die man sonst erlebt. „Aufstehen für ein neues Wir!“ steht auf dem Titel des Buchs von Burkhard Hose. Geboren wurde der Autor 1967, er ist Geistlicher und seit 2008 Studentenpfarrer der Katholischen Hochschulgemeinde in Würzburg.

In seinem Buch erzählt er von Episoden aus der Flüchtlingshilfe. „Ihr helft uns, bessere Christen zu werden, uns neu mit dem Glauben auseinander zu setzen“, sagt Hose. Die Begegnung mit Muslime fordere ihn heraus, sich mit dem eigenen Glauben neu zu beschäftigen. „Ich frage mich viel häufiger als zuvor, was mir schwerfällt in meinem Glauben.“ Die christliche Identität sei nur inklusiv möglich, im Frieden mit anderen Menschen. „Wer das christliche Abendland mit neuen Grenzen umgibt und sich gegenüber Notleidenden abschottet, rettet nicht die christliche Identität, sondern pervertiert sie“, schreibt Hose. Für ihn sei letztlich auch unter einer missionarischen Kirche zu verstehen: „Nicht der Anspruch, vermeintlich die einzig wahre Religion zu sein, wird universaliert, sondern die Liebe. Sie wird über die Grenzen der eigenen Religion und erst recht der eigenen Nation hinaus universal gelebt.“

Seit Jahren setzt sich Burkhard Hose konsequent für Geflüchtete, Asylbewerber und Randgruppen ein. Er ist davon überzeugt, dass Nächstenliebe und Zivilcourage einen Unterschied machen. Und so liest er zum Beispiel die Geschichte von seinem Hund Columbo: Der Labrador muss immer wieder seinen Schlafplatz mit Geflüchteten teilen. In den Blick seines Hundes interpretiert Hose alles Politische in dieser Zeit hinein, das Merkelsche „Wir schaffen das“, die Diskussionen um Obergrenzen, Unsicherheit, Skepsis. Hose erlebt Anfeindungen aber auch viel Unterstützung. „Ich habe ein für mich fast therapeutisches Buch geschrieben“, berichtet er dann im CPH, „ich wollte die Botschaft in die Welt bringen, dass rund zehn Prozent der Deutschen Geflüchteten geholfen haben.“ Er berichtet von einer Bürgerversammlung im Steigerwald, bei der diskutiert wird, wie und ob man Kirchenasyl für tschetschenische Familien, deren Asylantrag abgelaufen ist, ermöglichen könnte. Ein Anwohner zu Hose: „Ich will nicht, dass die weg müssen, nicht dass da Fremde hinkommen!“ Die neuen, fremden Nachbarn waren für den Mann bereits vertraut. Die Angst? Scheint nur so lange vorhanden zu sein, so lange man den Fremden nicht persönlich kennt.

Auch unbewusst heitere Momente erlebt Hose mit seinen syrischen Gästen. „Darf ich die Dusche benutzen?“, fragt einer. „Feel at home, go to the river“, entgegnet Hose im Scherz. Der Syrer reagiert schlagfertig: „Wie zu Hause. Stimmt. Wir haben ja in Syrien keine Duschen. Wir haben keine Elektrizität und wir schlafen auf den Bäumen.“ Viele Situationen seien für Hose und die Geflüchteten nur mit Humor zu ertragen. Wie etwa der Hinweis einiger Deutscher auf die kalten Wintermonate, in denen es aufregend für die Syrer sein müsse, endlich Schnee zu sehen. Manchmal zeigen sie dann einfach Fotos von Damaskus im Schnee.

Natürlich erzählt Hose auch von zermürbenden Gesprächen mit Politikern und Beamten, der Diskussion mit einem PEGIDA-Befürworter, bei der es zu keiner gemeinsamen Gesprächsebene kommt, und von einer Vermieterin, die eine Wohnung ursprünglich an Geflüchtete vermieten wollte, dann aber doch einen Rückzieher macht – aus Angst vor terroristischen Anschlägen. Doch immer wieder gibt es Lichtblicke und Hoffnung auf das „neue Wir“: „Ich erlebe es immer dann, wenn die Begegnung zwischen Menschen dazu beträgt, dass bei mir und bei anderen Menschen Ideologien und Vorurteile in den Hintergrund treten und Menschen sichtbar werden“, schreibt Hose am Ende des sechsten Kapitel seines lesenswerten Buches.

Am Ende des Vortrags lesen Assef Mustafa und Burhard Hose gemeinsam auf deutsch und arabisch das Gedicht „Denk an den Andern“ von Mahmud Darwisch (1941-2008, gilt als der berühmteste Dichter der arabischen Welt) . Es endet mit dem Satz: „Wenn du an die Anderen in der Ferne denkst, denke an dich, und sage: wäre ich doch eine Kerze im Dunkeln“

Bildunterschriften:

1 Mit den drei Syrern Assef Mustafa, Obaida Allabidi und Nazir Miari (von links) gestaltete Burkhard Hose (3.v.l) seine Lesung im CPH. Foto: Sebastian Müller

2 Der Würzburger Friedenspreisträger und Studentenseelsorger Burkhard Hose bei seiner Lesung im CPH: Foto: Sebastian Müller

3 „Wenn du an die Anderen in der Ferne denkst, denke an dich, und sage: wäre ich doch eine Kerze im Dunkeln“: Mit dem Syrer Assef Mustafa (links) las Burhard Hose gemeinsam das Gedicht „Denk an den Andern“ von Mahmud Darwisch.

Ein Gedicht von Maḥmūd Darwīš

Wenn du dein Frühstück vorbereitest, denke an die anderen
Vergiss nicht, die Tauben zu füttern.
Wenn du dich in Kriege stürzt, denke an die anderen
Vergiss nicht die, die um Frieden bitten.
Wenn du die Wasserrechnung bezahlst, denke an die anderen
Jene, die aus Wolken trinken.
Wenn du in’s Haus zurückkehrst, in dein Haus, denke an die anderen
Vergiss nicht die Menschen der Zelte.
Wenn du schläfst und die Planeten zählst, denke an die anderen
An die, die keinen Schlafplatz gefunden haben.
Und wenn du deine Seele mit Metaphern befreist, denke an die anderen
Jene, die das Recht auf Worte verloren haben.
Und wenn du an die weit entfernten Anderen denkst, denke an dich selbst.
Sag: Ich will eine Kerze in der Dunkelheit sein.

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Maḥmūd Darwīš (1941-2008) gilt als der berühmteste Dichter der arabischen Welt. Er wurde in einem kleinen palästinensischen Dorf geboren. 1948 floh seine Familie in den Libanon, kehrte jedoch kurz darauf auf illegalem Weg zurück. Bis 1969 lebte und wirkte Maḥmūd in Israel, engagierte sich mit seiner Lyrik politisch und wurde einige Male inhaftiert, bevor er schließlich das Land verließ und sich der PLO anschloss. Er war bekannt für seine klare, einfache Ausdrucksweise, aber auch für die Emotionalität und Kraft seiner Worte.

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فكر بغيرك
محمود درويش


وأنتَ تُعِدُّ فطورك، فكِّر بغيركَ
لا تَنْسَ قوتَ الحمام
وأنتَ تخوضُ حروبكَ، فكِّر بغيركَ
لا تنس مَنْ يطلبون السلام
وأنتَ تسدد فاتورةَ الماء، فكِّر بغيركَ
مَنْ يرضَعُون الغمامٍ
وأنتَ تعودُ إلى البيت، بيتكَ، فكِّر بغيركَ
لا تنس شعب الخيامْ
وأنت تنام وتُحصي الكواكبَ، فكِّر بغيركَ
ثمّةَ مَنْ لم يجد حيّزاً للمنام
وأنت تحرّر نفسك بالاستعارات، فكِّر بغيركَ
مَنْ فقدوا حقَّهم في الكلام
وأنت تفكر بالآخرين البعيدين، فكِّر بنفسك


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