Was schrieben die Päpste des 12. Jahrhunderts?

Der Erlanger Professor Klaus Herbers analysiert Papstbriefe aus dem 12. Jahrhundert / Kuriositäten wegen echten und falschen Petersketten

ERLANGEN (sem) In mühevoller Detailarbeit hat der Erlanger Historiker Prof. Klaus Herbers und sein Team Papstbriefe aus dem 12. Jahrhundert analsysiert. In dem Projekt «Regesta Pontificum Romanorum» arbeiten die Erlanger mit der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen zusammen. Nun ist der erste Band einer Neuauflage des gleichnamigen Standardwerks von Philipp Jaffe, das erstmals 1851 erschien und bis 1888 eine zweite Auflage erfuhr. Prof. Dr. Klaus Herbers ist Inhaber des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und seit 2005 Sekretär der Pius-Stiftung für Papsturkundenforschung. Im Rahmen des Projekts „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, welches im Gesamtunternehmen der Pius-Stiftung für Papsturkundenforschung eingebettet ist, entsteht die Neubearbeitung der Regesta Pontificum Romanorum unter der Ägide von Klaus Herbers. Der erste Band enthält die Pontifikate von Petrus bis zu Gregor dem Großen (von 39 bis 604). In kurzen lateinischen Regesten werden systematisch die Papstkontakte in chronologischer Reihenfolge erschlossen. Die Regesten verweisen auf die heute maßgeblichen Editionen und die Diskussion zu Echtheit und Datierung der Papstschreiben. Heinrichsblatt-Mitarbeiter Sebastian Müller im Interview mit dem Mittelalterhistoriker Klaus Herbers.

HEINRICHSBLATT: Warum analysieren Sie die Papstbriefe vom Anfang bis Ende des zwölften Jahrhunderts?

HERBERS: Anhand der Briefe und Urkunden lässt sich die päpstliche Kommunikation rekonstruieren. Wir erfahren auf diese Weise nicht nur, mit wem das Papsttum kommunizierte, sondern auch, bei welchen Sachverhalten der Papst kontaktiert wurde. Gerade für diese frühe Zeit sind die Analyse und vor allem die Zusammenstellung der Papstbriefe von zentraler Bedeutung. In der Tradition der apostolischen Sukzession, also der kontinuierlichen Abfolge der Päpste, wird Petrus als erster Amtsinhaber angesehen, auch wenn diese gerade in der frühen Zeit besser als „Bischof von Rom“ bezeichnet werden, da sich ihr Wirkungskreis erst nach und nach über Stadt- und Landesgrenzen vergrößerte.

Ab Innozenz III. (1198-1216) setzt dann die Registerüberlieferung ein. Das heißt, dass ab dieser Zeit die päpstlichen Schreiben in Rom zentral in einem Register erfasst und verwahrt werden. Davor ist man auf die Empfängerüberlieferung angewiesen. Das heißt, die Papstbriefe sind nur bei den Personen, an die sie gerichtet waren, zu finden. Da schon damals das Papsttum im Kontakt mit der gesamten damals bekannten Welt stand, ist es sehr mühsam gewesen, sich einen Überblick über die Kommunikation zu verschaffen. Deshalb war das Werk Philipp Jaffés, welches diese Kontakte verzeichnet, seit seinem Entstehen 1851 von großer Bedeutung für die Forschung.

Von welchen Päpsten sprechen wir dabei genau?

Der Fokus liegt hierbei auf den Bischöfen von Rom. Ausgehend von Petrus, in dessen Nachfolge sich die spätere Päpste stellten, werden alle Päpste berücksichtigt. Manchmal gab es aber nicht nur ein Oberhaupt der katholischen Kirche. Dies konnte zum Beispiel durch eine uneindeutige Wahl oder konkurrierendes Interesse der einflussreichen Persönlichkeiten in Rom geschehen. In so genannten Schismen, also Phasen, in denen es durch die Ausrufung mehrerer Päpste zu einer Kirchenspaltung gekommen war, werden beide Päpste berücksichtigt. Es handelt sich in diesem Zeitraum also um 169 Päpste und 38 konkurrierende Päpste.

In welcher Form, welches Papier, liegen die Papstbriefe vor?

Sowohl die Form als auch der Beschreibstoff haben sich erheblich verändert. Wurden in der Frühzeit päpstliche Schreiben noch häufig auf Papyrus geschrieben, hielt im Laufe des elften Jahrhunderts das Pergament (Tierhaut) Einzug in die päpstliche Kanzlei. Erst ab dem zwölften Jahrhundert verfestigte sich die Gestaltung der Papsturkunden. Allen gemein ist jedoch, dass in der ersten Zeile der Aussteller, also der Papst, durch größere Schrift und besondere Buchstabenformen hervorgehoben wird. Ab Papst Leo IX. (1049-1054) finden sich auch graphische Symbole, das so genannte Benevalete-Monogramm und die Rota, im unteren Bereich der Urkunde.
Was war bislang Ihre größte Überraschung, die Sie in einem Papstbrief entdeckt haben?

Überraschend ist immer wieder die Vielschichtigkeit der Themen, die an den Papst herangetragen werden. So wird in einer historiographischen Quelle (d.h. zeitgenössische Geschichtsschreibung) davon berichtet, dass auf Weisung Kaiser Ottos I. dem Papst Johannes XIII. ein eben von Besessenheit befallener Graf des kaiserlichen Gefolges vorgeführt wurde, damit er ihn heile. Nach zwei vergeblichen Heilungsversuchen mit falschen Petersketten, welche die römischen Kleriker dem Papste gebracht hatten, um sich weiterhin am Toben des Besessenen belustigen zu können, sei endlich die Heilung geglückt, als der über die Verspottung des Grafen und die Nichtachtung des Kaisers durch die Kleriker erzürnte Papst energisch befohlen habe, dem Besessenen die echten Petersketten am Halse anzulegen. Der im Auftrag des Kaisers anwesende und über das Wunder erstaunte Bischof Dietrich I. von Metz habe daraufhin die Kette an sich gerissen und sie nicht mehr hergeben wollen. Auf Fürsprache des über den nun ausbrechenden Tumult informierten Kaisers habe der Papst dem Bischof einen Teil der Kette geschenkt. Nicht zuletzt solche Beispiele verdeutlichen, bis in welche Bereiche der Papst hineinwirkte, was sich nicht nur in erhaltenen Schreiben, sondern eben auch in den nur erwähnten Kontakten zeigt, die wir auch in unser Verzeichnis aufnehmen.
Wie gehen Sie bei der Analyse genau vor?

Wir erstellen von den Papstbriefen und -kontakten Regesten. Das heißt, wir fassen kurz den rechtserheblichen Inhalt der Urkunde zusammen. Außerdem versuchen wir, eine Aussage darüber zu machen, ob es sich bei den Stücken um Originale oder Fälschungen handelt, ob die Briefe noch in ihrem originalen Textbestand erhalten sind oder wir lediglich aus anderen Quellen, wie zum Beispiel der Geschichtsschreibung, davon erfahren und wann die Briefe entstanden sind. Neben diesen Informationen, welche sich alle auf die einzelne Urkunde beziehen, versuchen wir aber auch der Forschung mit diesem Werk ein verlässliches Nachschlagewerk zu bieten. Es werden deshalb auch die neuesten Editionen (also die Bücher, in denen der Text der Urkunde gedruckt ist) und wichtige Forschungskontroversen angegeben.

Was sind die inhaltlichen Schwerpunkte der Papstbriefe des zwölften Jahrhunderts?
So vielschichtig wie die Papstgeschichte war, so einheitlich sind die vorherrschenden Themen Ihrer Schreiben und Handlungen vom Beginn bis zum 12. Jahrhundert: Oft ging es um die Verleihung von bestimmten Rechten und Besitzungen, wie z.B. die Palliumsverleihung (das Pallium, ein Band aus Stoff, wurde in Rom geweiht und den Erzbischöfen als Würdezeichen vom Papst verliehen). Der Papst griff auch vermittelnd in Rechtsstreitigkeiten ein, er stattete Kirchen mit Schenkungen aus und weihte diese; außerdem krönte er die römisch(-deutschen) Kaiser.
Sind die Briefe alle handschriftlich von den Päpsten geschrieben?

Die Briefe der Päpste sind in der päpstlichen Kanzlei entstanden. Diese kann man sich ungefähr wie eine Mischung aus dem Sekretariat des Papsttums und der zentralen Verwaltungsbehörde vorstellen. Die Anfänge der päpstlichen Kanzlei liegen bislang weitgehend im Dunklen. Erst in späterer Zeit haben wir genauere Einblicke in die Arbeitsabläufe und die verschieden Zuständigkeiten der einzelnen Personen, wie zum Beispiel dem Datar dort. Ab dem zwölften Jahrhundert finden sich vermehrt Unterschriften der Päpste auf feierlichen Privilegien (dies sind, wie der Name schon sagt, besonders feierliche Urkunden in denen meist Rechte bestätigt oder verliehen wurden). Ob diese jedoch eigenhändig erfolgten, konnte noch nicht abschließend geklärt werden. In der Frühzeit kann man davon ausgehen, dass der Papst immerhin den Schlussgruß „Bene valete“ selbst auf die Urkunde schrieb. Den Text der Urkunde schrieb der Papst jedenfalls nicht selbst, dafür gab es eigene Schreiber.

Untersuchen Sie nur die Papstbriefe oder auch die Antworten an den Papst?

Auch Schreiben an den Papst, wenn Sie über eine eigenständige Überlieferung verfügen, werden aufgenommen. Das heißt, wenn die Briefe nicht nur in den Antwortbriefen des Papstes, sondern zum Beispiel auch in der Geschichtsschreibung erwähnt werden. Im Übrigen stellen häufig die päpstlichen Schreiben eine Antwort auf Briefe, welche vorher an den Papst gingen und meist eine Bitte zum Inhalt hatten, dar.

Interview: Sebastian Müller (sem)

Info: Die Forschungsergebnisse werden dauerhaft aktualisiert und lassen sich systematisch in der Datenbank www.papsturkunden.de online durchsuchen.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Judith Werner (links) und Viktoria Trenkle arbeiten im Projekt Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters unter der Leitung von Prof. Klaus Herbers (rechts) an der Neuauflage der „Regesta Pontificum Romanorum“, deren erster Band vor kurzem erschienen ist. Foto: Lehrstuhl Prof. Herbers

 Die Urkunde stammt von Papst Leo IX. Dieser war von 1049 bis 1054 Bischof von Rom. Die Urkunde ist auf den 29. Juni 1053 datiert. Empfänger war das Kloster von Montecassino. Papst Leo IX. verlieh mit der Urkunde dem Kloster im Hinblick auf das Armutsgebot der Mönche Zoll- und Abgabenfreiheit für ein zur Klosterversorgung verwendetes Schiff samt Besatzung und allen Handelswaren. Foto: Lehrstuhl Prof. Herbers

Klaus Herbers (Hg.), Philipp Jaffé: Regesta Pontificum Romanorum Tomvs I (ab a. 39 – ad a. 604), Bearbeitet von Markus Schütz, Viktoria Trenkle und Judith Werner. Unter Mitarbeit von Kathrin Gowers, Waldemar Könighaus, Cornelia Scherer und Thorsten Schlauwitz, revidierte Neuauflage, 584 Seiten Leinen, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Foto: Verlag


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