Von Bill Gates, über Kardinal Müller bis zu Q Anon

Katholische Erwachsenenbildung Fürth nimmt Verschwörungstheorien in den Blick / Video-Seminar online / Referentin Birgit Mair

Von Sebastian Müller

Fürth. Es ist eine mehr als ungewöhnliche, virtuelle Seminarumgebung, auch für den Veranstalter Sebastian Zink, Geschäftsführer und Pädagogische Leitung der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) Ansbach-Neustadt/Aisch und Fürth. „Da sind wir auch noch Lernende“, sagt Zink in sein Mikrofon. Gerade loggen sich die Teilnehmer in den virtuellen Seminarraum des Online-Video-Dienstes „Zoom“ zum Thema „Verschwörungstheorien um Covid-19“ ein. Es werden schließlich um die 20 Teilnehmer, die dem Vortrag der Bildungsreferentin Birgit Mair zuhören möchten. Man hatte sich zuvor per E-Mail bei der KEB angemeldet und bekam dann von Sebastian Zink eine Einladung per Link in den virtuellen Seminarraum zugeschickt. In Zoom kann jeder, der eine Web-Cam und ein Mikrofon hat (die meisten Laptops haben dies integriert), den anderen sehen. Manche Teilnehmende sind nur mit Ton verbunden und nicht zu sehen. Über einen Chat kann man Fragen stellen. Während des Vortrags soll man sein Mikrofon digital ausschalten, man darf keine Bild- und Tonaufnahmen machen. Nach dem Vortrag erhält man das Handout von Birgit Mair per E-Mail zugeschickt.

Dann sind alle da und der Vortrag beginnt: Zunächst stellt Mair klar, dass sie eigentlich lieber von „Ideologien“, „Mythen“ und „Mutmaßungen“ sprechen würde, wenn es um Verschwörungstheorien gehe. Denn, so Mair: Bei den Verschwörungstheorien handle es sich nicht um eine geschlossene Theorie im „wissenschaftlichen Sinne“. Wie wohl viele andere Menschen habe auch Mair im März, kurz nach dem Lockdown wegen Corona, von Freunden merkwürdige Links in WhatsApp und anderen digitalen Medien zugeschickt bekommen. „Da habe ich bei Nachfragen unterschiedliche Reaktionen erhalten“, berichtet sie.

Immer wieder taucht da der Milliardär und Microsoft-Gründer Bill Gates auf: Er wolle, so die Theorie, die Menschen impfen und ihnen einen Nanochip einpflanzen. Darüber hinaus gebe es die Anhänger der Theorie, die glaubten, dass eine „neue Weltordnung“ (NWO, „New World Order“) etabliert werden solle. Und wieder andere sind der Auffassung, das Virus sei in einem chinesischen Labor gezüchtet und absichtlich verbreitet worden. Und nicht zuletzt entstand der Mythos, die neue 5G-Funktechnik für mobile Kommunikation habe das Virus verbreitet.

Mair verwendet als Definition für Verschwörungstheorien die Definition des Politikwissenschaftlers Michael Barkun: „Sie nehmen an, dass nichts durch Zufall geschieht, dass nichts so ist, wie es scheint, und dass alles miteinander verbunden ist. Verschwörungstheoretiker behaupten also, dass es eine im Geheimen operierende Gruppe gibt, die Verschwörer. (…) Diese verfolgen einen systematischen Plan, um die Kontrolle über eine Institution, ein Land oder gar die ganze Welt zu übernehmen, oder haben dies bereits in der Vergangenheit getan und wollen nun ihre Macht sichern und ausbauen.“ Beispiel Q Anon-Verschwörung: Satanische Mächte würden Kinder in unterirdischen Lagern foltern. Aus den Körpern der Kinder würden „Adrenochrome“, ein verjüngernder Stoff gewonnen. Die Corona-Pandemie sei eine Erfindung des liberalen Establishments, um davon abzulenken, dass der US-Präsident die Kinder gerade befreie. Die Q Anon – Theorie wird vor allem in rechten Kreisen stark vertreten. Zahlreiche Q Anon-Anhänger traten auch bei Corona-Demonstrationen in Nürnberg auf, so Mair. Sie bewertet diese Theorie in weiten Teilen als antisemitisch, weil darin u.a. jüdische Menschen wie der US-Investor George Soros makiert würden. Auch der deutsche Rapper Xavier Naidoo ist Anhänger dieser Theorie. Der Attentäter von Hanau (Februar 2020, neun Tote) bezog sich in einer Videobotschaft auf Q Anon, so Mair.

Auch in katholischen und rechtskonservativen habe es Verschwörungstheorien gegeben (das Heinrichsblatt hat berichtet). So unterzeichnete u.a. Kardinal Müller eine Erklärung, in der vor einer neuen „Weltregierung“ gewarnt wird. In dem Brief „Aufruf an Katholiken und Menschen guten Willens“, verfasst von Erzbischof Carlo Maria Viganò, wurde vor einer Weltregierung gewarnt, die sich „jeder Kontrolle entzieht“. Zudem wird in dem Schreiben behauptet, dass es für Katholiken „moralisch inakzeptabel sei, sich mit Impfstoffen behandeln zu lassen, zu deren Herstellung Material von abgetriebenen Föten verwendet wird“. Die Deutsche Katholische Bischofskonferenz hatte sich von dem Schreiben bereits distanziert. Auch Teilnehmer des Seminars der KEB Fürth kritisierten das Schreiben scharf. Auch Sebastian Zink sprach von einer „hochproblematischen Sache“ für die Kirche. Allerdings seien die meisten der Unterzeichner gar nicht mehr im Amt. Auffällig ist, dass sich sowohl Kardinal Müller als auch Erzbischof Viganò seit Jahren als scharfe Kritiker an Papst Franziskus stilisieren.

Doch zurück zum Seminar: Mair kritisiert bei den Corona-Demos vor allem Vergleiche zum Nationalsozialismus. Hier würden Schlagworte wie „Ermächtigungsgesetz“, „Gleichschaltung der Medien“, „Gesundheitsdiktatur“, „Nie wieder Faschismus“. Hier würden, so Mair, die nationalsozialistischen Verbrechen verharmlost durch Gleichsetzung der Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit der NS-Herrschaft.

Großes Interesse gab es bei den Teilnehmenden des Seminars auch an der neuen Partei „Widerstand 2020“: Die Gründer heißen Ralf Ludwig (Rechtsanwalt) und Dr. Bodo Schiffmann (Leiter der „Schwindelambulanz“ in Sinsheim. Allerdings, so Mair, ist diese Partei „nach rechts offen“.

Wie kann man nun auf Verschwörungstheoretiker reagieren? Mair: Die große Mehrheit der Bevölkerung sei mit den Maßnahmen zur Eindämmung von Corona einverstanden. Man dürfe und müsse Fake-News und Geschichts-Revisionismus widersprechen: „Wir leben in Deutschland nicht in einer Diktatur. Wer die momentane Situation mit der NS-Zeit vergleicht, verharmlose diese“, so Mair. Man sollte keine Links auf Whatsapp, Facebook, Telegram ungeprüft weiterleiten. Man könne auf der persönlichen Ebene Rückfragen stellen, nach Quellen fragen, nachbohren und gegebenenfalls deutlich widersprechen, empfiehlt Mair.


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