Überstunden sind oft ein heißes Eisen

Angestellte sollten genau dokumentieren, wenn sie länger arbeiten müssen / Tarifvertrag und Betriebsvereinbarungen genau studieren

Von Sebastian Müller

NÜRNBERG (sem). Aus Sicht des Lastwagenfahrers Alexis Galanis (Name von der Redaktion geändert) ist der Vergleich vor dem Nürnberger Arbeitsgericht im November keine gute Lösung. Der Fahrer hatte für eine Speditionsfirma zahlreiche Überstunden angehäuft, aus mehreren Gründen kam es zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Nun wollte Galanis wie er beteuerte Gerechtigkeit und eine Vergütung der geleisteten Überstunden. Doch das Arbeitsgericht erkannte seine Forderung nicht an: zu wenig Vortrag, zu wenig Dokumentation, argumentierte das Gericht. Der Grieche war ohne Anwalt vor Gericht erschienen. Im Vergleich wurde ihm nur eine Abgeltung für nicht genommenen Urlaub zugesprochen.

Der Fall zeigt: Überstunden sind oft ein heißes Eisen. Darauf weist auch der Nürnberger Rechtsanwalt Marc-Oliver Schulze (Kanzlei AfA Arbeitsrecht für Arbeitnehmer) hin. Was man dennoch aus dem Fall lernen kann: Eine detaillierte Dokumentation der Überstunden schadet nie – besonders, wenn es in der Firma keine elektronische Zeiterfassung gibt. „Da sollte man auflisten wann man kommt, wann man geht und was man in der Zeit auch tatsächlich gearbeitet hat“, empfiehlt Schulze. Im Idealfall kann man sich seine Überstundenliste auch vom Arbeitgeber monatlich abzeichnen lassen. „Das löst beim Arbeitgeber natürlich nicht unbedingt Freude aus“, so Schulze. In den meisten Fällen kommt es zur Auseinandersetzung vor Gereicht, wenn im Arbeitsvertrag eine 40-Stunden-Woche vereinbart ist, aber keine Zeiterfassung in dem Betrieb existiert. Dann gelte oft eine so genannte „Vertrauensarbeitszeit“. Wenn es in dem Betrieb eine elektronische Zeiterfassung gibt, haben die Angestellten auch ein Recht auf einen regelmäßigen Auszug derselben.

Viele Angestellte, vor allem Berufsanfänger und neue Mitarbeiter, leisten dann mehr oder weniger gerne Überstunden, um ihr Engagement für den neuen Arbeitgeber unter Beweis zu stellen. Doch irgendwann möchte auch der flexibelste Mitarbeiter auch einmal Freizeit für Familie und Freunde haben. Daher ordnet Schulze das Wort Überstunden klar ein: Sie müssen vom Arbeitgeber angeordnet, geduldet oder für die Arbeit erforderlich sein. „Vor Gericht ist es da häufig schwer, einen Nachweis und genug Vortrag zu bringen“, betont Schulze. Gute Indizien sind etwa E-Mail-Verläufe oder Ausdrucke des Outlook-Kalenders mit Kundenterminen. Auch Zeugen kann man benennen, beispielsweise die Kollegen, die im gleichen Team an dem Projekt gearbeitet, und ebenfalls Überstunden gemacht haben. Eine Duldung von Überstunden liegt auch beispielsweise nahe, wenn der Chef seinen Mitarbeiter jeden Morgen um 7 Uhr sieht und ihn begrüßt – und sich jeden Abend um 19 Uhr wieder von ihm verabschiedet. Dieses Beispiel kann der Angestellte vor Gericht vortragen – dann muss der Chef glaubhaft darauf reagieren.

Noch besser: Den Arbeitgeber klar per E-Mail informieren, dass eine bestimmte Arbeit nur mit Überstunden zu schaffen sei. Reagiert der Arbeitgeber nicht auf die E-Mail, könne man ihm erneut eine Frist setzen und sich notfalls weigern, die Überstunden zu leisten. Reagiert der Vorgesetzte und erlaubt er die Überstunden, müssen sie auch bezahlt werden. Wer seine Überstunden zu Recht einfordert, erhält als Entgelt sein monatliches Bruttogehalt auf die Stunde heruntergerechnet. Steuern und Sozialabgaben werden dann noch abgezogen. Zuschläge gibt es grundsätzlich nur, wenn sie ausdrücklich vereinbart sind, etwa in einem Tarifvertrag.

Was viele nicht wissen: Wenn in Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag nichts gesondert geregelt ist, muss man seine Überstunden aufgrund der gesetzlichen Regelung spätestens nach drei Jahren einklagen. Laut Rechtsanwalt Schulze gibt es jedoch in vielen Arbeitsverhältnissen so genannte Ausschlussfristen die vorsehen, dass finanzielle Ansprüche (dazu gehören auch Überstunden) binnen drei Monaten geltend gemacht werden müssen. Teilweise gibt es sogar noch eine zweite Stufe die regelt, dass die Überstunden verfallen, wenn man nicht innerhalb weiterer drei Monate Klage einreicht. „Diese Ausschlussfristen haben viele Angestellte nicht im Blick“, betont Schulze. Sein Rat: Unbedingt den Arbeitsvertrag genau durchlesen und, falls es Verweise auf eine Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag gibt, auch diese gut studieren. Anders herum betrachtet: Wenn es einen Betriebsrat gibt, hat dieser das Thema Überstunden im Blick und der Mitarbeiter muss sich damit möglicherweise gar nicht beschäftigen.

Übrigens: Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2015 kann das Gericht den Mindestumfang von geleisteten Überstunden neuerdings unter bestimmten Voraussetzungen auch schätzen. Der Vorteil: Ein Angestellter muss nicht mehr jede einzelne Überstunde nachweisen.


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