Kerzen in der Kühltasche: In Australien ist Weihnachten ziemlich heiß

Die deutsche evangelische Kirchengemeinde Sydney bereitet sich auf das Fest vor / Senioren feiern traditionelle Adventsfeier bei fast 20 Grad Celsius und Sonne

Von Sebastian Müller

EKD-Pastorin Andrea Pistor steht in der deutschen Martin-Luther-Kirche Sydney am Adventskranz.

Sydney. Pastorin Andrea Pistor zündet in der evangelischen Martin-Luther-Kirche gerade die erste Kerze am Adventskranz an. „Einmal sind mir eine Handvoll Kerzen im Auto geschmolzen, seitdem transportiere ich sie nur noch in der Kühltasche“, sagt die 43-Jährige Pfarrerin. Die evangelisch-lutherische Martin-Luther-Kirche, erbaut 1881 in Sydney, befindet sich mitten im Zentrum zwischen gigantischen Hochhäusern. Am Freitag soll der Weihnachtsbaum geliefert und von aufgestellt werden: Es wird wohl wieder eine Tanne von einer Plantage aus der Nähe von Canberra, der Hauptstadt Australiens sein. Andrea Pistor hofft, dass der Baum nicht wieder nadelt wie vor einigen Jahren. Die Adventszeit und Weihnachten Down Under ist ziemlich anders als in Deutschland. „Wir feiern das Fest mitten im Hochsommer wie alle Länder auf der Südhalbkugel. Da sind wir etwas mehr herausgefordert das Fest festlich zu gestalten und uns zu besinnen“, sagt Andrea Pistor. So gibt es in beiden deutschen evangelischen Kirchen Adventskränze und Weihnachtsbäume, in den Gottesdiensten werden die traditionellen Adventslieder (Anmerkung: Manchen hier ist es wichtig, die Weihnachtslieder erst zu Weihnachten zu singen – im Advent daher nur die Adventslieder) gesungen und die Senioren feiern schon Anfang Dezember ihre Adventsfeier. Am Sonntag, 2. Advent steht wieder das Advents-Picknick für Familien in Chester Hill im Westen Sydneys an. Davor gibt es einen Familiengottesdienst in der Gnadenfrei-Kirche.

Richtig viel Arbeit kommt auf Andrea Pistor und ihren Mann Pastor Thomas Dietl (44) rund um Weihnachten zu. Das Pfarrerehepaar, das sich die Auslandspfarrstelle der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) teilt, bietet insgesamt acht Gottesdienste an fünf verschiedenen Standorten im Großraum Sydney für deutschsprachige evangelische Christen an. Zwischen einzelnen Gottesdiensten feiert die Familie – die Pistors haben zwei Kinder im Alter von sechs und neun Jahren – daheim in Sydney Heiligabend mit Abendessen und Bescherung – ganz traditionell wie zu Hause im niedersächsischen Flechtorf. Die Kirchengemeinde, die in Australien wie ein Verein aufgebaut ist, zählt rund 400 zahlende Mitglieder, darunter auch Österreicher und Schweizer.

Die Luther-Senioren haben das Mittagessen in der Luther-Stube neben der Martin-Luther-Kirche mitten im Zentrum Syneys für die Adventsfeier vorbereitet.

Vor der Kirche rauscht der Verkehr vorbei und ein Haus weiter beginnt gerade die Senioren-Adventsfeier in der „Lutherstube“. Der Tisch ist liebevoll gedeckt, die Servietten mit einem kleinen Nikolaus umwickelt. Ein Dutzend deutsche Auswanderer treffen sich hier gerade zum Mittagessen, es gibt Würstchen mit Kartoffelsalat, Stollen und selbst gebackene Plätzchen – wie in Deutschland. Nach dem Mittagessen werden die Lieder „Alle Jahre wieder“, „Leise rieselt der Schnee“ sowie „Lasst und froh und munter sein“ gesungen, Andrea Pistor liest eine amüsante Weihnachtsgeschichte von Gerhard Zarth vor mit dem Titel „Merry Christmas“, in dem das Christkind in Sydney alle Menschen nur beim Partys feiern und shoppen vorfindet – doch eine Familie stimmt einen Lobgesang an und sitzt betend vor dem Weihnachtsbaum. Bei dieser Familie bleibt das Christkind dann auf alle Ewigkeit.

Die Luthersenioren der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Sydney bei der Adventsfeier 2017.

Die Senioren sind von der Geschichte und den Erinnerungen ans deutsche Weihnachtsfest ergriffen und beginnen nun nach und nach zu erzählen. So erzählt etwa das aus Donauschwaben stammene Ehepaar Stefan (92) und Margaret (87), dass man Weihnachten mit Kindern und Enkeln gemeinsam feiern werde. Tochter Sylvia Varnier (50) ist mit den Eltern mitgekommen und erzählt, dass die Familie am Christmas Day, dem Ersten Weihnachtsfeiertag ein Barbecue veranstalten werde.

Inge Müller (79) ist die Vorsitzende der deutschen Luther-Senioren in Sydney. Sie lebt seit 55 Jahren in Australien und hat damals ihren Brieffreund Heinz Müller (86) geheiratet. „Es ist sehr wichtig, dass es die deutsche evangelische Kirche in Sydney gibt“, sagt Inge Müller. „Wir sind begnadet mit unseren Pastoren, die machen das jedes Jahr an Weihnachten so schön – und wir fühlen uns in der Fremde fast wie zu Hause an Weihnachten“, sagt sie. Mit ihrem Mann Heinz hatte sie erst eine zweijährige Brieffreundschaft, bis sie Ja sagte. Dann kam er mit dem Schiff in einer vierwöchigen Fahrt nach Deutschland, sie heirateten drei Tage nach seiner Ankunft und fuhren wenig später wieder mit dem Schiff nach Australien. Die Müllers haben drei Kinder, drei Enkel und ein Urenkel. 1962 erlebten sie in Australien gleich am ersten Weihnachten einen kleinen Zwischenfall: Der Weihnachtsbaum brannte ab! „Seitdem verwenden wir nur noch elektrische Kerzen“, erzählt Inge. „Wir vermissen das Gemütliche aus Deutschland an Weihnachten. Hier ist Sommer und alle feiern laute Partys“, sagt Inge.

Neben der hohen Temperaturen an Weihnachten in Down Under gibt es natürlich noch viele weitere Unterschiede zum deutschen Weihnachtsfest. So sind die Türen der Australier mit allen möglichen lustigen Dingen dekoriert – etwa im Stadtteil Randwick nahe des Coogee Beachs im Osten Sydneys am Pazifischen Ozean. Zu sehen sind Santa-Claus-Figuren, Merry-Christmas-Schriftzüge. Am Engang des angesagten Restaurants „Coogee Pavillion“ steht eine Rentier-Figur. Und am Martin Place findet man mitten im Zentrum einen gigantischen Weihnachtsbaum, der nachts hell erleuchtet ist. Adventsmärkte finden nur ganz selten statt. In Woolworths in Randwick gab es am Ersten Advent eine kleine Charity-Aktion mit Weihnachtsliedern von Studierenden der University of Sydney für das Kinderhospital in Sydney. In der katholischen Kirche „Our Lady of the Sacred Heart“ (Unsere Liebe Frau) in Randwick gibt es neben dem Altar eine Weihnachtskrippe: Die Krippe ist hier mit Wolle ausgelegt und noch leer! Und neben Maria, Josef und den Hirten gesellen sich zu Ochse und Esel noch allerlei weitere Tiere, darunter eine Ente, ein Hase und ein Vogel. Wer die unfassbar vielfältige Natur Australiens kennt, der versteht sofort was damit gemeint ist. Und natürlich steckt der typisch australische Humor da auch mit drin.

Die Australier feiern den Heiligen Abend nicht – da stehen noch Einkäufe und Vorbereitungen an, die Geschäfte haben wie gewohnt bis spät abends geöffnet auch in diesem Jahre, wenn der 24. Dezember auf einen Sonntag fällt. Diskussionen um Ladenöffnungen am Heiligen Abend würden hier Verwunderung und Kopfschütteln auslösen. In den Supermärkten werden frische Erdbeeren, Mangos, Kirschen und Spargel verkauft – all das hat jetzt Saison. Am Christmas Day jedoch haben alle frei und auch die Geschäfte sind geschlossen. Dann steigen in den Familien die Christmas Partys, es gibt BBQ, die Geschenke bringt natürlich Santa Claus und zum Dinner gibt es entweder einen Turkey – also Truthahnbraten – oder Steaks und Würste vom Grill. Sehr beliebt ist auch der Christmas Ham – der Weihnachtsschinken aus Schweinefleisch. Als Desert reicht man die Pavlova, eine mit Sahne und Früchten gefüllte Torte aus einer Baisermasse, die sowohl in Australien als auch in Neuseeland als ein Nationalgericht angesehen wird. Und dann zieht es viele Familien zum Picknick oder an den Strand – alle haben frei und genießen das Leben, den „easy way of life“. Am Boxing Day, dem Zweiten Weihnachtsfeiertag haben die Geschäfte wieder geöffnet, da geht man shoppen oder schaut sich ein Cricket-Match an.

Der Senioren-Adventsnachmittag geht mit dem Lied „Süßer die Glocken nie klingen“ und dem Vaterunser langsam zu Ende. Dann verabschieden sich alle und verlassen die Lutherstube in Sydney. Inzwischen ist die Sonne herausgekommen. Das Thermometer zeigt 25 Grad an.

 

Internet: www.kirche-sydney.org.au


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