Kardinal Reinhard Marx spricht in der Uni Erlangen

Komplizierte Begriffe – doch eine klare Botschaft

Kardinal Reinhard Marx spricht in der Uni Erlangen / Hohe Bedeutung der christlichen Kirchen für die Zukunft der freien Gesellschaft

Von Sebastian Müller

ERLANGEN (sem) Kardinal Reinhard Marx ist beliebt. Der beste Beweis ist an diesem Dienstagabend ein bis auf den letzten Platz gefüllter Senatssaal im Erlanger Kollegienhaus. Selbst Stehplätze werden zur Mangelware. Als der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz den Raum betritt klopft das Wissenschaftspublikum auf die Holztische vor ihnen – eine gute Tradition, die bedeutet: Herzlich willkommen Herr Kardinal. Zum Thema „Monotheismus und Pluralität“ hatten verschiedene Lehrstühle zu einer Ringvorlesung geladen.

„Ich habe mir bewusst Zeit für dieses Thema genommen, denn die Diskussion spielt heute und in Zukunft eine wichtige Rolle“, stellt der Erzbischof von München und Freising gleich zu Beginn seines rund einstündigen Vortrags klar. Das Thema ist angesichts der Sicherheitsdebatte in Deutschland und der Diskussion über welche Ausprägung des Islams auch immer gut gewählt: Monotheismus meint dabei den Glauben an nur einen einzigen Gott, Pluralismus die Vielfalt der Weltanschauungen und – sicherheitshalber sei auch dieser Begriff geklärt – Pluralität die Machtverteilung in der Gesellschaft.

Zunächst macht Marx Lust auf die Bibel: In schwärmerischen Worten spricht er über das Volk Israel, über Mose und über die Offenbarung Gottes am brennenden Dornbusch und schließlich auch über den Auszug der Israeliten aus Ägypten. „Vielleicht bekommt der eine oder andere einmal wieder Lust, die Bibel in die Hand zu nehmen“, sagt Marx da und schmunzelt und wird dann sehr deutlich: „Es gibt einen Gott, den Schöpfer aller Menschen nach seinem Bild. Alle Menschen sind Brüder und Schwestern. Sie gehören zusammen, weil sie Menschen sind – unabhängig von ihrem Glauben!“ Zugleich erteilt Marx der Ansicht eine Absage, dass Juden und Christen exklusiv von Gott ausgewählt seien: Der Tendenz nach gelte die Botschaft für alle Menschen, jeder Mensch sei von Gott eingeladen und Bild des lebendigen Gottes.

„Ist das Christentum somit fähig zur Toleranz?“, fragt Marx dann. Im 30-jährigen Krieg hatten sich Christen untereinander bekämpft, die Kirchenspaltung in Evangelische und Katholische sei die Voraussetzung für den modernen Staat gewesen. Die Grundlage für den Staat, ja für die pluralistische Gesellschaft sei, den anderen zu hören, der auch da ist, ihn zu akzeptieren – und da müsse sich der Staat heraushalten. „Vertreter aller Konfessionen und Religionen müssen respektvoll miteinander umgehen. Da sind wir aber noch nicht durch. Da stehen wir noch am Anfang“, warnt der Kardinal und verweist auf die Debatten um Kopftuch, Kreuzen in Schulen und die homosexuelle Ehe. Es werde stets Streitigkeiten zwischen Staat und Kirche geben. Andererseits möchte Marx auch keinen „Weltanschauungsstaat“, der sämtliche ethische und moralische Fragen regelt. Verantwortung, Verlässlichkeit, Treue, Bindung, Ehe, Familie: Dies seien höchst intime Entscheidungen des Einzelnen, da könne der Staat nur Rahmenbedingungen schaffen.

Und wie sieht die Zukunft aus? „Das Ringen um die Zukunft ist in vollem Gange“, betont der Marx. Um eine freie, liberale und offene Gesellschaft zu sichern sei auch das Christentum gefordert. „Wir müssen als Christen da eine aktive Rolle spielen, nicht als Besserwisser, aber anpacken, damit die Gesellschaft eine Zukunft hat.“ Dabei dürfe sich das Christentum keinesfalls instrumentalisieren lassen, die Gefahr sei auch gering, denn: „Jesus lässt sich nicht instrumentalisieren“, so der Theologe. Die christliche Religion solle aber auch mehr sein als reine Dekoration: „Das Evangelium, das Kranke in die Mitte nimmt, hat eine Sprengkraft von anderer Dimension.“ Mit Hilfe der christlichen Botschaft, der Philosophie und einer starken Vernunft könne die freie Gesellschaft gelingen. Dabei gehe es jedoch nicht um eine ungezügelte Freiheit. Marx verweist dabei auf sein Buch „Kapital“ (2008). Nicht die Menschen müssen sich an den Fortschritt und Kapitalismus anpassen, denn dies wäre eine Verdrehung der Prioritäten. „Wenn die Freiheit ungebunden ist landen wir im moralischen Nirgendwo“, so der Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE).

Das Fazit von Reinhard Marx an diesem Abend: Ohne das Christentum kann die freie Gesellschaft nicht existieren. Zwar forderten derzeit viele Menschen, dass Deutschland Deutschland bleiben solle. „Aber niemand stellt die Frage, ob das Christentum bleibt. Wir dürfen als Christen nicht nur jammern, wir müssen uns positiv einbringen.“ Die christlichen Kirchen brächten sich beispielsweise im Religionsunterricht in der Zivilgesellschaft ein. Auch eine wissenschaftliche christliche Theologie an staatlichen Universitäten sei wichtig – die Theologie dürfe und müsse kritisch sein, auch die Kirche müsse selbstkritisch sein. So kann es gelingen, dass die Kirche eine Bereicherung und Inspiration für die Gesellschaft bleibt.


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