Der Jagdschein ist wichtiger als das Schweizer Konto

Wer weiter auf die Pirsch gehen will, neigt eher zu Steuer-Selbstanzeigen / NRW kauft weitere Daten-CDs / Menschen, die dem Fiskus Geld hinterziehen haben eine eigene Psychologie

Von Sebastian Müller

NÜRNBERG (sem) Die Steuerfahndung Wuppertal hat Ende Oktober für fünf Millionen Euro weitere Steuer-CDs mit sensiblen Daten gekauft. Der Staat soll bei einem Handelsvolumen von etwa 70 Milliarden Euro um Kapitalertragsteuer betrogen worden sein. Auf der Steuer-CD sollen mehr als 50 000 Vorgänge und Hinweise auf Geschäftspraktiken gespeichert sein. Darüber hinaus hatte der Fall Uli Hoeneß, bei dem die Steuer-Selbstanzeige misslang und er daraufhin zu einer dreieinhalbjährige Gefängnisstrafe verurteilt worden war, hohe Wellen geschlagen. Auch Boris Becker und der Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel hinterzogen Steuern und wurden von Gerichten verurteilt. Emma-Chefin Alice Schwarzer zeigte sich selbst an und und zahlte für die vergangenen zehn Jahre 200.000 Euro Steuern plus Säumniszinsen nach.

Der Fürther Fachanwalt für Steuerrecht und Steuerberater, Stefan Frank, beobachtet die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. „Es wird trotz der vielen Steuer-CDs und den prominenten Fällen bei den Fallzahlen der Selbstanzeigen nicht wirklich besser, sondern eher schlechter.“ Im Verborgenen zockten seiner Ansicht nach noch viele Menschen und warten noch ab. „Der Informationsfluss zwischen den Steuerbehörden wird immer besser , der automatische Informationsaustausch läuft an und und man muss theoretisch ständig mit einem Ermittlungsverfahren der Steuerbehörden rechnen, wenn man Geld nicht versteuert hat“, betont Frank. Der Fachanwalt für Steuerrecht und Steuerberater kann durch Gespräche aus Fachkreisen oder aus Medienberichten eine regelrechte Typologie von Steuerhinterziehern ausmachen:

Da gibt es erstens die so genannten Kopf-in-den-Sand-Stecker. Diese wissen genau, dass sie Geld auf Auslandskonten geparkt haben – ignorieren die Sache aber und warten ab, was passiert. Die zweite Gruppe bilden die „Zocker“, die sich immer noch einen Sport daraus machen, Geld am Staat vorbei zu schaffen. „Die warten noch ein Jahr und noch ein Jahr und hoffen, dass möglichst viel verjährt – sie spielen also auf Zeit“, so Frank. Eine dritte Kategorie sind Prominente oder weitere in der Öffentlichkeit stehende Personen, die massive Angst vor einer Rufschädigung im Falle einer Entdeckung haben. Diese Gruppe sei am ehesten zu einer Selbstanzeige bereit. Ein schwieriger und vierter Typ sind Erbengemeinschaften, getreu dem Motto zu viele Köche verderben den Brei. Bei diesen Leuten besteht oft keine Einigkeit wie man mit dem Schweizer Nummernkonto des Verstorbenen umgehen soll. „Wer im Testament steht muss als Rechtsnachfolger alles bereinigen – wer die Berichtigung unterlässt, begeht auch als Erbe eine Steuerhinterziehung.“ Die Lösung für die Erben: Eine gemeinschaftliche Selbstanzeige in der dann alle Namen der Erben aufgelistet werden – dann ist die Sache für das Finanzamt bereinigt.

Eine ganz eigenwillige, emotionale und fünfte Gruppe sind Jäger und Besitzer von Waffenscheinen. „Diese Menschen haben so große Angst, dass sie ihr Hobby nicht länger ausüben können, dass sie doch zur Selbstanzeige neigen“, berichtet Frank. Der Grund: Wer vom Fiskus erwischt wird und in einem Verfahren zu mindestens 60 Tagessätzen verurteilt wird, ist meist den Waffenschein los. „Dann ist auch die Sorge um den Jagdschein groß“, so Frank. Die Jäger hängen allerdings oft so emotional an ihrem Hobby – da geht es auch oft um eigene Ländereien oder den möglichen Gesichtsverlust bei den Jagdfreunden, dass sie bereit wären, eine höhere Geldstrafe in Kauf zu nehmen, wenn nur der Jagdschein erhalten bleibt. „Tatsächlich ist der Entzug des Jagdscheins wegen Steuervergehen in der Regel nicht möglich“, so Frank. Die Angst sei daher irrational. Laut Bundesjagdgesetz müsse es nämlich zu einer „spezifischen waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit“ des Jägers kommen, um den Jagdschein zu entziehen.

Als sechste Gruppe kann man auch die so genannten Zauderer feststellen. Damit sind Menschen gemeint, die zwar den Kopf nicht in den Sand stecken, aber ewig hin und her überlegen aber sich des Problems bewusst sind.

Psychologisch gesehen kennt Frank bei den Hinterziehern verschiedene Abstufungen. So gibt es die Menschen, die überhaupt nicht einsehen, dass sie Steuern zahlen müssen. Als nächste Stufe zahlt man ungern Steuern und will es künftig vermeiden. Viele tun sich auch schwer, wenn bei einer Selbstanzeige ein ziemlich großer Brocken an Nachzahlung auf sie zukommt und wollen das vermeiden. „Das tut dann mehr weh als wenn man konstant seine Steuern gezahlt hätte“, so Frank. Doch die Angst steigt bei vielen: Niemand kann sich mehr sicher sein, welche Daten auf welchen CDs den Steuerbehörden zugespielt werden. Selbst die Schweizer Banken haben eine komplette Kehrtwende hingelegt: Das lange berühmte Schweizer Bankgeheimnis gilt fast nicht mehr, weil die Institute ständig im Würgegriff der Behörden sind und unter enormen Druck stehen. Dazu kommen hohe Gebühren der Hinterzieher etwa bei Schweizer Banken. „Oft sind die Hinterzieher keine wirklich Reichen. Da sind auch Facharbeiter dabei, die mal 60.000 Euro in der Schweiz verstecken wollen.“ Das Risiko wollen viele nicht mehr eingehen und zeigen sich lieber selbst an.

Die Unruhe bei Millionären wurde 2011 besonders hoch als der Bundesgerichtshof entschieden hatte, dass ab einer Million zwingend Gefängnis als Strafe folgen muss. „Da kommt es bei den Betroffenen schon zu massiven Ängsten und Schlafstörungen. Die Anspannung ist da dann sehr hoch“, erzählt Frank. Oft ist der Anwalt dann auch als Psychologe gefragt, wenn sich ein Steuersünder dann doch zur Selbstanzeige entscheidet. „Wir müssen die Menschen dann beruhigen und gehen mit ihnen die Selbstanzeige Schritt für Schritt durch.“

Bei der Selbstanzeige – am besten gleich mit einem auf Steuerrecht spezialisierten Fachanwalt – ist dann oberstes Gebot: Es wird nicht mehr getrickst. Alle Karten kommen auf den Tisch. Der Anwalt oder Steuerberater wird dann zunächst eine komplette Schätzung der letzten zehn Jahre, die oft zu hoch ausfällt, bei der zuständigen Veranlagungsstelle einreichen. Die Höhe könne dann später wieder berichtigt werden. Die Veranlagungsstelle wird dann die Bußgeldstrafsachenstelle informieren und formal wird ein Verfahren eingeleitet, das bei einer Selbstanzeige in der Regel wieder eingestellt wird. Oft bekommt dann Frank diesen Satz zu hören: „Wenn wir das gewusst hätten, dann hätten wir das schon viel früher gemacht.“ Und das sei laut Frank auch das Positive: Die Finanzverwaltung will Selbstanzeigen, die Verfahren seien meist gar nicht so langwierig und die Nachzahlung dann doch gar nicht so hoch wie befürchtet. Zudem könne man wieder über sein Geld verfügen und spare sich die Gebühren bei den Schweizer oder andern Banken im Ausland. Und: Man hat sein Gewissen bereinigt, seinen Frieden mit dem Staat gemacht und kann wieder ruhig schlafen. Wenn allerdings schon ein Ermittlungsverfahren eröffnet wurde, ist es zu spät.

Der Datenträger ist übrigens die inzwischen neunte Steuer-CD, die von der Landesregierung NRW seit 2010 angekauft wurde. Das macht sich offenbar bezahlt. Infolge der CD-Ankäufe und der dadurch ausgelösten Steuernachzahlungen und Geldbußen nahm NRW laut Finanzministerium mehr als 1,8 Milliarden Euro ein (Stand: Juni 2015). Seit Frühjahr 2010 gingen bei der Finanzverwaltung NRW rund 22 300 Selbstanzeigen (Stand: 1. Oktober 2015) ein. Bundesweit werden die Mehreinnahmen durch Steuernachzahlungen nach Selbstanzeigen dem Spiegel zufolge auf vier bis fünf Milliarden Euro geschätzt. Seit 2010 hätten sich etwa 120 000 Deutsche als Steuerhinterzieher angezeigt.


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