Der Gefängnis-Seelsorger hat immer ein offenes Ohr
Diakon Uwe Peterhoff arbeitet als Gefängnisseelsorger in der Nürnberger Justizvollzugsanstalt / Debatte um Notruf-Geräte mit dem Ministerium
Die bayerischen Gefängnisseelsorger haben gegenüber dem Justizministerium klare Kante gezeigt: Die von der Regierung für JVA-Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen eingeführten Notrufgeräte dürfen bei seelsorgerlichen Gesprächen draußen bleiben. Über diesen Kompromiss berichtete der Nürnberger Gefängnisseelsorger Uwe Peterhoff (62) am Dienstag im Katharina-von-Bora-Haus der evangelischen Versöhnungskirche Nürnberg Schniegling.
Die Seelsorge ist auch im Gefängnis ein geschütztes Gut: Wenn Diakon Uwe Peterhoff mit einem Insassen spricht, dann steht das Gespräch unter dem Beichtgeheimnis und bleibt absolut geheim. Kein Staatsanwalt oder Richter könnte ihn zu einer Aussage zwingen. Kein Wunder also, dass sich die bayerischen Gefängnisseelsorger vor einigen Jahren mit Kräften gegen die so genannten PNA-Geräte (Personen Notruf Anlage) gewehrt haben: Die kleinen Sicherheitsbegleiter sehen aus wie eine Mischung aus Funkgerät und Handy. Eingeführt wurden sie vom bayerischen Justizministerium nachdem in der JVA Straubing eine Psychologin über Stunden von einem Gefangenen als Geisel gefangen gehalten worden war. „Uns konnte niemand beweisen, dass mit den PNA seelsorgerliche Gespräche abgehört werden können“, betont Uwe Peterhoff. So wurde ein Kompromiss mit dem Ministerium gefunden: Die technischen Helfer bleiben fortan im Vorraum des Gesprächsraums.
Diese und viele weitere Einblicke hinter die hohen Gefängnismauern sind es, die an diesem Dienstagabend rund 15 Interessierte der Schnieglinger Versöhnungskirche ins Katharina-von-Bora-Haus gelockt haben. Einen Gruß bringt Uwe Peterhoff von seiner Bibel-Gruppe mit: „Bitte sagen Sie den Leuten da draußen, dass wir keine Bestien sind.“ Der Arbeitstag beginnt für Peterhoff täglich um 8.30 Uhr. Dann holt er seinen riesigen Schlüsselbund aus seinem Schließfach. In seinem Postfach findet er dann bis zu 15 Zettel, auf denen Gesprächsanliegen notiert sind. Er besucht die Menschen dann in ihren Zellen – und geht mit ihnen in ein Gesprächszimmer. „Ich höre mir dann die Geschichten der Gefangenen an. Da sträubt sich in mir manchmal alles.“ Peterhoff hört da oft von schrecklichen Schicksalen – die Insassen sind oft selbst Opfer – von geprügelten Kindern, sexuellem Missbrauch und wie der Mensch auf die schiefe Bahn geraten ist. Da ist etwa ein junger Mann, der ohne Vater aufwuchs, obdachlos wurde und sich einer Autoknackerbande anschloss. Darüber hinaus ermuntern die Seelsorger die Gefangenen zur Selbstbesinnung, zur Auseinandersetzung mit ihrer Tat und zur Verantwortungsübernahme auch hinsichtlich der Opfer. „Kürzlich hat ein Gefangener gefragt, ob er dem Opfer einen Brief schreiben und sich entschuldigen soll“, berichtet Peterhoff.
Oft braucht Uwe Peterhoff ein dickes Fell. Etwa am Besuchstag, wenn Kinder ihre verurteilten Väter nur durch eine Scheibe sehen können. „Das sind oft dramatische Szenen. Die Kinder können nicht verstehen, was da los ist“, weiß Peterhoff. Daher versucht er, für Familien nach einiger Zeit der Haft auch Sonderbesuche zu beantragen, damit sich die Familien nicht durch eine Scheibe sehen müssen. Bei diesen Sonderbesuchen ist dann auch immer ein Seelsorger dabei. Verständlicherweise hat die Gefängnisleitung Angst, dass Drogen in die Haftanstalt geschmuggelt werden“, so Peterhoff. Überhaupt bilden die Gefängnisseelsorger eine Brücke nach draußen, zu den Familien.
Der Alltag im Gefängnis: Mehr als die Hälfte der Gefangenen darf etwa in der Gärtnerei, in der Kfz-Werkstatt, in der Schlosserei, der Tischlerei, der Elektroabteilung oder als Maler arbeiten und bekommt dafür zwischen 1,50 und 3,50 Euro pro Tag. Zwei Lehrer bieten an, den qualifizierten Hauptschulabschluss zu absolvieren. Zahlreiche Gruppen von Gesprächskreis über Kunstgruppe bis hin zu Konflikt-Trainings stehen auf dem Programm. Die Gottesdienste in der Gefängniskirche sind sonntags zwischen sieben und neun Uhr gut besucht. Um sieben Uhr sind schon die Männer dran, gefolgt von den Häftlingen der Untersuchungshaft um acht und den Frauen um neun Uhr. Uwe Peterhoff hat 20 Gitarren, die er an Häftlinge verleihen kann.
In der Nürnberger JVA sind derzeit rund 1000 von 1200 Plätzen belegt. Von den 1000 Insassen sind etwa 60 bis 70 Frauen und 50 Jugendliche – der Großteil der Plätze fällt auf die Männerstrafhaft. Mit den 1000 Insassen ist das Nürnberger Gefängnis das zweitgrößte in Bayern nach München Stadelheim. Uwe Peterhoff ist einer von vier Gefängnisseelsorgern – insgesamt sind zwei evangelische und zwei katholische Seelsorger im Dienst. Freitags kommen auch muslimische Hodschas zum Freitagsgebet vorbei. Die Seelsorge für muslimische Gefangene sei, so Peterhoff, „im Kommen“. Allerdings gibt es keinen festen muslimischen Seelsorger. Daher nehmen viele Muslime auch an Gruppen und sogar an Gottesdiensten teil.
Eine Ausbildung in Traumapädagogik hilft dem Diakon in diesen Gesprächen. Nach drei bis fünf Gesprächen wird es selbst ihm zu viel. „Ich muss dann raus.“ Dann verlässt er das Gefängnis, trinkt einen Kaffee, isst etwas und erholt sich. Regelmäßig trifft er sich mit anderen Gefängnisseelsorgern zum fachlichen Austausch. Abends legt er seinen großen Schlüssel wieder bewusst in sein Schließfach – und sagt sich: „Alles was ich heute gehört habe kommt hier mit rein.“ Er will nichts mit nach Hause nehmen, ist er sich doch bewusst: Am nächsten Tag warten die nächsten Insassen mit Gesprächsanliegen auf ihn.
Infos: Evangelische und Katholische Gefängnisseelsorge, Mannertstraße 6, 90429 Nürnberg, Telefon 0911/32102 (Vermittlung), Internet: www.gefaengnisseelsorge.de