Correctiv: Kampf für guten Journalismus im Internet

Chefredakteur Markus Grill warnt in Nürnberg vor Gefahr für die Demokratie durch Fake-News/ Recherchenetzwerk „Correctiv“ führt Fake-Check für Facebook am 1. April 2017 ein

Vor Gefahren für die Demokratie durch Fake-News hat der Chefredakteur des Recherchenetzwerks „Correctiv“, Markus Grill, am Freitag, 24. März, in der Nürnberger St. Klarakirche gewarnt. „Im Netz sind Kräfte am Werk, die mit Falschmeldungen bewusst Verwirrung stiften wollen. Ich fürchte das droht uns auch in Deutschland vor der Bundestagswahl“, sagte der ehemalige Spiegel Redakteur. Aus diesem Grund führt das erste gemeinnützige Recherchezentrum am 1. April 2017 den „Fake-Check“ für Facebook ein. Ab diesem Tag soll es in dem größten weltweiten sozialen Netzwerk möglich sein, fragwürdige Beiträge per Klick an die Journalisten von Correctiv zu senden. Vier Redakteure überprüfen dann den Beitrag und verpassen ihn ihm nach dem Faktencheck einen entsprechenden Stempel. Falls es sich um eine Lüge handelt, würde dort in etwa stehen: „Faktenchecker zweifeln die Richtigkeit des Beitrags an.“

Doch für Grill ist dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Die sozialen Netzwerke verdienen Milliarden. Sie sollten viel mehr für die Inhalte, die sie verbreiten, verantwortlich sein. Ich bin für einen digitalen Presserat, bei dem man sich dann beschweren kann“, forderte Grill. Die Veranstaltung in St. Klara trug den Titel „Krise der Medien – Gefahr für die Demokratie?“.

Als „Problem für die Demokratie“ bezeichnete Grill den derzeitigen Nachrichtenkonsum vieler Bürger durch soziale Medien. „Gerade auf Facebook werden systematische Falschmeldungen produziert und eine antieuropäische Stimmung geschürt“, so Grill. Hier sollen Wähle irritiert werden, am Ende gehen sie gar nicht mehr zur Wahl. „Wir können da nicht warten bis die Politik aktiv wird. Wir müssen jetzt aktiv werden“, forderte Grill. Die Krise der Medien sei vor allem auf ökonomische Gründe zurückzuführen. So verlören die Tageszeitung seit der Digitalisierung massiv an Auflage, auch Anzeigenkunden brächen stark weg.

Der Journalist berichtete auch aus dem Alltag von Correctiv. So stecken die Redakteure vor allem viel Kraft und Mühe in datenjournalistische Auswertungen. Sie kümmern sich um Themen wie Pflege, die „neue Rechte“, die Sparkassen und den Einfluss der Pharmaindustrie auf Ärzte. Im letzteren Beispiel hat Correctiv eine Datenbank mit mehr als 20.000 Ärzten aufgebaut, die man sogar nach Postleitzahl sortieren kann. Correctiv.org finanziert sich vor allem durch Mitgliedsbeiträge von Bürgerinnen und Bürgern sowie durch Zuwendungen von Stiftungen. Seine Recherchen und Geschichten reicht correctiv.org in Kooperationen an Zeitungen und Zeitschriften, an Radio- und Fernsehsender weiter.

Correctiv bietet für die Türkei derzeit unter der Mitarbeit des Journalisten Can Dündar eine Exil-Redaktion. Auf der Onlineplatform #ÖZGÜRÜZ soll in deutscher und türkischer Sprache weiter eine unabhängige, kritische Berichterstattung über die Vorgänge in der Türkei ermöglicht werden, betonte Grill. Die erste Internetseite war nach zwei Tagen nicht mehr in der Türkei erreichbar – sie wurde vom türkischen Staat zensiert. Nun haben es die Journalisten von Correctiv geschafft, auf einer Seite, die nicht blockiert werden kann, täglich Live-Videos zu platzieren.

Was kann man nun tun? Markus Grill empfahl, genau zu überlegen, ob man einen Beitrag in Facebook wirklich liken oder teilen sollte. Zudem könne jeder durch ein Zeitungs-Abo dazu beitragen, dass es weiterhin unabhängige Medien gibt. Und: Man sollte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schätzen und nicht über die Haushaltsabgabe schimpfen. Denn durch die öffentlich-rechtlichen Sender werde eine große, unabhängige journalistische Qualität aufrecht gehalten.

In den anschließenden sehr lebendigen Diskussion zeigte, sich, dass das Thema Medien und Demokratie die Menschen umtreibt. Fragen, ob man die Nationalitäten von Verbrechern in Berichten nennen sollte, erteilte Grill eine Absage: „Wollen Sie wissen, ob ein Täter evangelisch oder katholisch ist?“ Vorwürfe, dass Nachrichten „flacher und oberflächlicher“ werden, wies Grill ebenfalls zurück. „Die Bandbreite reicht von RTLII-News bis hin zum Deutschlandfunk. Wer Qualität will, findet auch Qualität.“ Zudem widersprach Grill der Behauptung einer Frau, wir lebten in einer „Schein-Demokratie“, in der „die Medien von oben gelenkt“ würden. Dies sei nicht der Fall. Es gebe keinen derartigen Plan. Auch habe „Merkel“ keine Möglichkeit, die Medien zu lenken. Die Medien in Deutschland seien unabhängig. „Wir leben in keiner Schein-Demokratie. Wir können an Wahlen teilnehmen. Sie können alles sagen und Ihre Meinung überall verbreiten. So viel Demokratie wie heute war noch nie. “

Applaus gab es für das Statement einer Frau, die lobte, dass „solche“ Veranstaltungen häufig in Kirchen stattfinden. „Wir fassen das als Kompliment auf“, sagte Pastoralreferent Jürgen Kaufmann von St. Klara.

Markus Grill arbeitete 2003-2009 als Reporter beim „stern“ und 2009-2015 beim „Spiegel“, darunter zweieinhalb Jahre als Wirtschaftskorrespondent in den USA. Beim „stern“ deckte er z.B. den Ratiopharm-Skandal und die Lidl-Mitarbeiterüberwachung auf, beim „Spiegel“ schrieb er u.a. kritische Medizin-Titel wie „Mythos Vorsorge“, „Illusion Homöopathie“ oder „Die Vitamin-Lüge“. Er wurde dreimal für den Henri-Nannen-Preis (Investigation) nominiert und 2008 zum „Journalist des Jahres“ gewählt. Außerdem erhielt er u.a. den Otto-Brenner-Preis, den Georg-Schreiber-Preis, den Journalistenpreis des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Seit 2009 gehört er dem Vorstand von „netzwerk recherche“ an. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Berlin.

Infos: www.correctiv.org sowie www.st-klara-nuernberg.de

 


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