125 Jahre jüdischer Friedhof Erlangen

Erlangen – Auf dem jüdischen Friedhof in Erlangen befindet sich der Grabstein von Max Aronstein ganz hinten links. Es ist der erste und älteste Grabstein auf dem rund 1140 Quadratmeter großen Ruhestätte im Norden Erlangens am nördlichen Rande des Burgbergs. Beerdigt wurde Max Aronstein am 19. November 1891. Damals war der Friedhof gerade erst frisch angelegt gewesen. „In nur vier Monaten wurde das Tahara-Haus und das gesamte Gelände angelegt“, berichtet der Beauftragte der jüdischen Kultusgemeinde Erlangen, Christof Eberstadt. Im Tahara-Haus findet die im Judentum traditionelle Leichenwaschung sowie weitere rituelle Handlungen statt. Das Erlanger Tahara-Haus wird anlässlich des 125-jährigen Bestehen des jüdischen Friedhofs derzeit für rund 270.000 Euro generalsaniert. Die Kosten bringt die Gemeinde durch Spenden, Krediten sowie öffentliche Fördergelder auf.

Nun, 125 Jahre später, will die jüdische Kultusgemeinde der Gründung des Friedhofs gedenken. In diesem Rahmen werden diesen Sonntag, 30. Oktober, um 12 Uhr drei Gedenktafeln entüllt, die an jüdische Opfer der Nationalsozialisten erinnern, die einen Bezug zur Stadt Erlangen haben. „Wir wollen den Opfern ihre Namen zurückgeben, die die Nationalsozialisten vernichten wollten.Wir wollen für ein würdiges Gedenken sorgen“, sagt Eberstadt. Zudem gehe die jüdische Thelogie davon aus, dass Gott den Verstorbenen bei seinem Namen zu sich rufe, weshalb die Bewahrung des Namens eine zentrale Bedeutung im Judentum habe.

Die drei Glastafeln sind auf Beton-Platten fest im Boden verankert. Auf der linken Tafel wird an 31 jüdische „Euthanasie“-Opfer gedacht, die alle einen Bezug zur Stadt Erlangen hatten. Der von den Nationalsozialisten missbrauchte Begriff „Euthanasie“ umfasst systematische Morde der Nationalsozialisten an Menschen mit geistigen, körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen. Die mittlere Tafel listet Namen von Gefallenen auf die im „Großen Vaterländischen Krieg“ zwischen 1941 und 1945 ums Leben gekommen sind. Dabei handelt es sich um 16 Namen von Gefallenen jüdischen Mitgliedern der Roten Armee, deren Nachfahren heute in Erlangen leben oder einen Bezug zur Stadt Erlangen haben. Auf der dritten und ganz rechten Glastafel sind 77 weitere Namen von „Opfern des Rassenwahns“ zu lesen, die einen Bezug zur Stadt Erlangen hatten. „Wir nennen die Namen von jüdischen Opfern, die in der Regel mindestens zwei Jahre in Erlangen gewohnt und gearbeitet haben. Wir kennen die Schicksale dieser Menschen“, erklärt Eberstadt. Die Gedenktafeln wurden von der Bürgerstiftung Erlangen, Firmen und aus privaten Mitteln finanziert. Insgesamt geht die jüdische Gemeinde Erlangen von nachweisbar 108 durch die Nationalsozialisten ermordete Juden mit Bezug zu Erlangen aus.

Heute zählt die jüdische Gemeinde Erlangen 110 Mitglieder. Der derzeit amtierende Rabbiner Meir Daus kommt jede Woche von Freitag bis Sonntag aus Berlin nach Erlangen für den Sabbat sowie den jüdischen Religionsunterricht, den derzeit zehn Kinder besuchen. Die jüdische Gemeinde Erlangen ist die kleinste und jüngste jüdischen Gemeinden in Bayern. Die Gründung war erst im Jahr 2002.

Ein Versuch, die Gemeinde in den 1980er zu gründen, war durch den Mord an Rabbiner Schlomo Levin und seiner Lebensgefährtin im Jahr 1980 zunächst gescheitert. Der mutmaßliche Mörder, Uwe Behrendt, war Mitglied der rechtsextremen Organisation Wehrsportgruppe Hoffmann und beging Selbstmord. In den 1990er Jahren kam es nach dem Zuzug von jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetuniion zur Gründung einer Israelitschen Kultusgemeinde am 1. Dezember 1997. Somit bildet die jüdische Gemeinde Erlangen die kleinste und jüngste jüdische Gemeinde in Bayern.

Stichwort: Jüdische Bestattungskultur

Das Judentum sieht in einem Friedhof die Verbindung mit dem Leben. Deshalb hat der jüdische Friedhof auch den hebräischen Namen „Haus des Lebens“ (Beth Cháim). Weitere Namen sind „Haus der Ewigkeit“ (Beth Olám) oder „Haus der Gräber“ (Beth Hawaróth). Jüdische Friedhöfe sind in der ganzen Welt nach Jerusalem – und dort nach dem Tempelberg ausgerichtet. Jeder Verstorbene wird einzeiln bestattet, das Recht auf das Grab besteht unaufhörlich. Somit sind Familiengräber wie im Christentum nicht möglich. Kein Grab zu haben, in dem der Leib wieder zu Erde werden kann, von der er genommen wurde, ist für Juden die Verletzung eines religiösen Gebotes. Jüdische Friedhöfe sollen Sinnbild der Vergänglichkeit allen Lebens sein: Daher werden die meist schmucklosen Gräber nicht gepflegt, eingesunkene Grabhügel nicht neu eingerichtet und auch keine Blumen, sondern Steine auf das Grab eines Verstorbenen als Zeichen des Grabbesuches gelegt. Juden betreten keinen Friedhof, ohne dass sie die für sie übliche Kopfbedeckung aufgesetzt haben. Juden verlassen keinen Friedhof, ohne sich die Hände gewaschen zu haben, freilich, ohne sie danach abzutrocknen. Zudem gibt es Riten und Bräche: So gibt es nach dem Tod eines Juden die so genannte „Heilige Brüderschaft“ (Chewra Kaddischa), die es in allen jüdischen Gemeinden auch heute noch gibt. Dabei gibt es immer eine Chewra Kaddisch für Männer und eine für Frauen. Die Teilnehmer der Chewra Kaddisch nehmen einige Stunden nach dem Eintritt des Todes die rituelle Waschung (Tahara) des Verstorbenen und die spezielle Bekleidung des Verstorbenen vor. Bei der Bestattung werden Gebete gesprochen und Trauerlieder gesungen. Danach werfen die Trauergäste je drei Schaufeln Erde auf den Sarg, wenn dieser ins Grab gesenkt worden ist. Wenn der Sarg ganz mit Erde bedeckt ist, spechen die männlichen Hinterbliebenen das „Kaddisch“, das fälschlicherweise als „Totengebet“ bezeichnet wird – es preist vielmehr den Namen Gottes und beinhaltet nicht die Bitten für die Seele des Toten.


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